Alle Angaben in diesem Beitrag stammen aus dem Ergebnisbericht einer klinischen Studie zur Headgear Compliance, die im Auftrag der European Orthodontic Society durchgeführten wurde. Die Autoren des von der Oxford University Press 2019 veröffentlichten Artikels sind Luis Huanca Ghislanzoni, Sofian Ameur, Gregory S. Antonarakis und Stavros Kiliaridis.
Ziel der klinischen Headgear Compliance Studie war es, exakt zu beschreiben, wie die vom Kieferorthopäden geforderte Tragezeit des Headgear eingehalten wird. Zur Messung der Tragezeit wurde über einen Zeitraum von 8 Monaten ein Gerät eingesetzt, das auf Temperatur und Krafteinwirkung reagiert.
Zwanzig Kinder mit Malokklusion der Klasse II im Alter von 8 bis 12 Jahren wurden nach dem Zufallsprinzip und prospektiv ausgewählt. Alle Kinder, 11 Mädchen und 9 Jungen, waren Patienten der kieferorthopädischen Klinik der Universität Genf. Die Rekrutierungsphase umfasste 9 Monate im Jahr 2016, der Beobachtungszeitraum endete im September 2017.
Der Headgear war mit einem Elektronikmodul ausgestattet, das die Temperatur und Krafteinwirkung misst und alle 15 Minuten Daten erfasst. Er wurde als verwendet gewertet, wenn die Kraft über Null lag und die Temperatur nahe an der menschlichen Körpertemperatur von 35 bis 37 Grad.
Um die Headgear Compliance erheben zu können, wurden die jungen Patienten angewiesen, den Headgear während des Untersuchungszeitraums von 8 bis 9 Monaten 12 Stunden täglich zu tragen. Alle Patienten wussten von der Aufzeichnung und alle erhielten die gleichen Anweisungen. Das Nutzungsverhalten wurde täglich über 24 Stunden untersucht. Analysiert wurden schliesslich sämtliche während des Beobachtungszeitraums erhobenen Daten aller Teilnehmer.
Als Basis für die Ermittlung des Prozentsatzes der Headgear Compliance wurde festgelegt, dass 12 Stunden Tragezeit täglich einer Compliance von 100% entsprechen.
Die durchschnittliche Behandlungsdauer mit dem Headgear betrug 8,4 Monate. Die durchschnittliche Tragezeit betrug 8,7 Stunden pro Tag an denjenigen Tagen, an denen der Headgear verwendet wurde, was einer Compliance von 73 Prozent entspricht, gemessen an den vorgeschriebenen 12 Stunden.
Tatsächlich wurde der Headgear an 30 Prozent der Tage (durchschnittlich 2,6 Monate) überhaupt nicht verwendet. Er wurde also während des Studienzeitraums nur 5,8 Monate effektiv eingesetzt. Rechnet man diese Tage der Nichtnutzung mit ein, sinkt die durchschnittliche Compliance auf 6,4 Stunden pro Tag, was einem Compliance-Wert von 54 Prozent entspricht.
Mit dieser gemessenen Headgear Compliance von 54 Prozent liegen die Ergebnisse der aktuellen Studie sehr nahe an den in der Literatur angegebenen 50 bis 55 Prozent Compliance.
Die Compliance war in den Monaten von Oktober bis Mai mit durchschnittlich 72 Prozent konsistent.
Von Juni bis September sank sie auf 33 Prozent im Durchschnitt. In den Sommermonaten Juli und August – der Schulferienzeit für Schweizer Schüler – wurde die niedrigste Compliance gemessen. Dies war kein überraschendes Ergebnis, da die Kooperationsmotivation der Patienten während ihrer Entspannungszeit deutlich sinkt. Einige Studienteilnehmer haben während der gesamten Urlaubszeit völlig vergessen, ihren Headgear zu tragen oder haben ihn einfach zu Hause vergessen.
Die Ergebnisse zeigen deutlich: Der Headgear wird fast ausschliesslich abends und nachts eingesetzt, die tägliche Nutzung ist selten. Während der Nachtstunden von Mitternacht bis 7 Uhr morgens lag die durchschnittliche Headgear Compliance bei über 50 Prozent. Während des Tages lag sie bei nahezu 0, insbesondere in der Zeit von 11 bis 20 Uhr. Von 8 Uhr bis 20 Uhr wurde der Headgear im Durchschnitt nur eine halbe Stunde getragen. In den Abend- und Nachtstunden von 20 Uhr bis 8 Uhr morgen hingegen durchschnittlich 6 Stunden.
Der Vergleich von Wochentagen (Montag bis Freitag) mit den Wochenenden ergab nur einen sehr geringen Unterschied von 3 Prozent. Die durchschnittliche Compliance lag unter der Woche bei 54 Prozent und an Wochenenden bei 51 Prozent.
Headgear sind nach wie vor eine beliebte Wahl bei der Behandlung von Malokklusionen der Klasse II bei Kindern. Laut einer aktuellen Umfrage werden sie von 62 Prozent der amerikanischen und kanadischen Kieferorthopäden verwendet (1).
Wie bei jedem abnehmbaren Gerät ist auch beim Headgear die Kooperation der Patienten ein Schlüsselfaktor für die Erreichung der Behandlungsziele. Den Kieferorthopäden war es schon immer ein Anliegen, die Mitarbeit der Patienten – die sogenannte Headgear Compliance – zu bewerten, um die Gründe für unbefriedigende Behandlungsergebnisse zu verstehen und sie nicht ungerechtfertigt nur auf biologische Faktoren zurückzuführen.
1974 führte Northcutt Timing-Messungen ein, wobei eine Headgear-Timing-Vorrichtung(2) als Werkzeug zur objektiven Messung der Patienten-Compliance verwendet wurde. Er fand heraus, dass seine Patienten selbst angaben, das Headgear 11 Stunden täglich zu tragen, während ihre tatsächliche Tragezeit nur 6,5 Stunden von den vorgeschriebenen 12 Stunden betrug (54 Prozent Headgear Compliance), wenn die Patienten nichts von der Aufzeichnung wussten.
Nachdem er seine Patienten über die Aufnahme aufgeklärt hatte, verdoppelte sich die wöchentliche Nutzungsdauer. Die Genauigkeit dieser spezifischen Headgear-Timer wurde zwar später angezweifelt(3), da die Patienten versuchten, die Ergebnisse zu verfälschen. Dennoch beeinflusste Northcuts Input(2) die Forschung zum Compliance-Verhalten nachhaltig.
Seine Forschung hat gezeigt, dass indirekte Methoden der Compliance-Bewertung schwach und unzuverlässig sind. Der Kieferorthopäde kann aus klinischen Parametern, wie der Anpassung des Geräts, der Mundhygiene, der Beurteilung der molaren Mobilität, dem Abstand zwischen den Zähnen und dem Vergleich des Behandlungsfortschritts mit den Erstbehandlungsunterlagen, einfach die Einhaltung ableiten(4).
Kieferorthopäden neigen dazu, in ihren Vorhersagen die effektive Headgear Compliance der Patienten, also die tatsächliche Tragezeit, zu überschätzen(5). Die Patienten selbst und deren Eltern erweisen sich als noch schlechter in der Beurteilung der Compliance. Sie berichten, dass der Headgear beinahe so lange wie vom Kieferorthopäden vorgeschrieben getragen wird (6,7 Stunden).
Die Patienten selbst neigen dazu, anzugeben, sie würden die vom Kieferorthopäden geforderte Tragezeit weitgehend einhalten, insbesondere dann, wenn sie nicht wissen, dass eine Aufzeichnung stattfindet. Die Patienten sind in der Regel am wenigsten ehrlich bei der Beurteilung der tatsächlichen Tragezeit und damit am wenigsten konform(4). Eine kürzlich durchgeführte systematische Überprüfung zur Headgear Compliance ergab eine Differenz von 5,0 Stunden pro Tag zwischen der berichteten und der objektiv bewerteten Tragezeit abnehmbarer Geräte(6).
Einige Autoren bestätigen, dass die Kenntnis der Aufzeichnung der Tragezeit einen positiven Einfluss auf die Kooperation der Patienten haben kann(7). Andere wiederum bezeichnen die Beweise für die Rolle des Messungsbewusstseins auf die Headgear Compliance jedoch als ungewiss(8,9).
Das Ziel der hier besprochenen Studie war es, die Einhaltung der Tragezeit des Headgear mit Hilfe eines temperatur- und kraftempfindlichen Gerätes über einen Zeitraum von 8 Monaten genau zu beschreiben.
Der Compliance-Faktor sollte bei der Planung zur Korrektur einer Malokklusion der Klasse II durch einen Headgear sorgfältig berücksichtigt werden, da die mangelnde Headgear Compliance eine wichtige Rolle bei der Erreichung der Behandlungsziele spielen kann.
Referenzen: